Der philosophische Trinker

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Mein Freund, der Narr vom philosophschen Orden,
Hat sich bekehrt, und ist ein Trinker worden.
Er zecht mit mir und meinen Bruedern,
Und fuehlet schon in unsern Liedern
Mehr Weisheit, Witz und Kraft,
Als Jacob Boehm und Newton schafft.
Doch bringt er seine spitzgen Fragen,
Die minder als sie sagen, sagen,
Noch dann und wann hervor,
Und plagt mit Schluessen unser Ohr.
Juengst fragt er mich am vollen Tische,
Warum wohl in der Welt der Fische,
In Fluessen und im Meer,
Nicht Wein statt Wassers waer?
Ohn Ursach, sprach er, kann nichts sein.
Die Antwort fiel mir schwer;
Ich dachte hin und her,
Doch endlich fiel mirs ein.
"Die Ursach ist leicht zu erdenken",
Sprach ich mit aufgestemmtem Arm.
Und welche? schrie der ganze Schwarm.
"Damit, wenn Esel davon traenken,
Die Esel, nur verdammt zu Buerden,
Nicht klueger als die Menschen wuerden."
Die Antwort, schrie man, laesst sich hoeren.
Drum trinket eins der Weltweisheit zu Ehren!

© Gotthold Ephraim Lessing